Beziehung ist nicht alles …

Beziehung ist nicht alles, aber ohne Beziehung ist alles nichts!

Diese Erkenntnis habe ich in 16 Jahren meiner Arbeit in einem Kinderheim gewonnen. Sie gilt heute für mich im Leben und im Glauben.

Im Bewerbungsgespräch für dieses Kinderheim fragte mich mein zukünftiger Chef, warum ich dort arbeiten wolle. Ich antwortete: „Ich möchte Kindern helfen.“ Seine Reaktion überraschte mich. Er sah mich an und sagte, das sei zu wenig. Er erklärte, dass ich niemals die Rolle der Eltern einnehmen könnte. Ich wäre lediglich eine Begleiterin. Mein „Herz“ sei in dieser hochprofessionellen Arbeit sogar hinderlich, denn ich würde niemals die Liebe der Kinder als Dank für meinen Einsatz bekommen – ihre Liebe würde immer ihren Eltern gehören. Er schloss das Gespräch mit den Worten: „Wenn Sie trotzdem noch Lust auf diesen Job haben, können Sie am Ersten des nächsten Monats anfangen.“ Ich brauchte dringend eine Arbeit und nahm das Angebot an.

So begann eine Zeit des intensiven Lernens. Ich lernte, wie man schlaflose Nächte überlebt, Dienstpläne schreibt, Akten überarbeitet und Konflikte löst. Ich lernte, alles zu geben, ohne etwas dafür zu erwarten. Das schützte mich davor, mein Herz zu verlieren. Ich eignete mir das pädagogische Handwerkszeug an, eine geschickte Gesprächsführung und ein breites Methodenspektrum, um auf das Verhalten der Kinder passend zu reagieren.

Doch das Wichtigste blieb, was mich von Anfang an angetrieben hatte: Ich wollte diesen Kindern wirklich helfen. Ich wollte, dass ihre Wunden heilten, sie neue Perspektiven gewannen und ihr Leben in gute Bahnen gelenkt wurde. Die Kinder spürten, dass sie mir wichtig waren, dass ich ihre Sache zu meiner gemacht hatte. Diese Einstellung war nicht nur ein Gedanke, sondern lebendig und spürbar in mir, denn wir strahlen immer aus, was wir denken und fühlen – ob wir wollen oder nicht. Unser Gegenüber empfängt diese Signale und entschlüsselt automatisch unsere wahre Absicht. Obwohl ich viele Fehler machte, spürten die Kinder meine Motivation für diese Arbeit, und das war entscheidend.

Deswegen hatten sie sich auf eine Beziehung zu mir eingelassen. So entstand zu jedem Kind eine eigene, „passende“ und situativ wandelbare Verbindung. Ein Kind saß auf meinen Knien und wurde getröstet, einem anderen hielt ich eine dicke „Predigt“, um einen Fehler zu verdeutlichen. Mit einem dritten stand ich anderthalb Stunden in der Garderobe und bestand darauf, dass man das Haus nicht mit Straßenschuhen betritt. Kinder kann man zu nichts zwingen, aber durch die Beziehung konnte ich sie positiv beeinflussen. Erst viel später begriff ich, dass sie vieles quasi „für mich“ und für den Erhalt unserer Beziehung taten, nicht weil sie es schon verinnerlicht hatten. Im Laufe der Zeit gingen ihnen die positiven Verhaltensweisen jedoch in Fleisch und Blut über und wurden zu ihren eigenen Überzeugungen. Sie gewannen Einsichten und veränderten ihr Verhalten.

Ich denke, den Jüngern erging es genauso. Als sie Jesus begegneten, spürten sie, dass er sie liebte und bereit war, alles für sie zu geben. Deshalb ließen sie sich auf eine Beziehung mit ihm ein. Sie machten seine Sache zu ihrer, ließen ihr altes Leben zurück und folgten ihm nach. Sie lernten von ihm, veränderten ihr Denken und Handeln. Die Beziehung zu ihm war die Grundlage, die Motivation und die Kraft, zu tun, wozu sie bestimmt waren. Seine Liebe spiegelte sich in ihren Herzen wider, und er war geduldig an ihrer Seite, bis sie sich von Fischern zu „Menschenfischern“ entwickelt hatten.

In der Beziehung zu ihm spüre ich, dass Jesus mich achtet, mich kennt und mich trotzdem liebt. Ich spüre, dass er weiß, was in meinem Herzen los ist, was ich denke und fühle. Deshalb geht er „passend“ mit mir um und weiß, was ich brauche. So verstehe ich heute immer besser, dass meine Beziehung zu Jesus für mein Leben ausschlaggebend war und ist. In Beziehung mit dem Heiligen Geist empfindet mein Herz, was Jesus will, hört und versteht seine Stimme, und ich lerne immer mehr, ihm vollständig zu vertrauen. In meinem Christsein geht es heute nicht mehr darum, ein „guter“ Christ oder „Supernachfolger“ zu werden. Ich lasse mich auf mein Leben ein, um mit ihm in Verbindung zu sein, denn ich habe erkannt, dass ich so nach seinem Reich trachte und mir damit alles andere zufallen wird (Matthäus 6, 33).

Meine Beziehung zu ihm ermöglicht mir, von ihm zu lernen, mit seinen Augen zu sehen, ihn zu verstehen und meine Sichtweise und mich selbst zu verändern. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, mich von ihm lieben zu lassen, sein Opfer anzunehmen und seinem Ruf zu folgen.

Sein Beziehungsangebot empfinde ich als das Geschenk meines Lebens. Um das zu halten, nehme ich Jesus in meinen Fokus.

Brigitte Schraml

 

 

 

St. Matthäus Redakteur

Datum

2. November 2025

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