Predigt am 18. 08. 2019 von Lektor Andreas Dietz
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“ Lukas 12, 48
Liebe Gemeinde, dieser Wochenspruch kann eine ganz schöne Last sein.
Vor etwa dreißig Jahren hatte ich während meines Jura-Studiums in Bayreuth nach langen Jahren der Kirchenferne zum Glauben und in die Kirche zurückgefunden. Ich war zunächst im Jugendkreis mit dabei und dort schon einer der Älteren, der bald Leitungsaufgaben übernahm. Daneben gab es viele Veranstaltungen in unserer Gemeinde vor Ort, für Jung und Alt und für Groß und Klein. Unser Jugendkreis wurde jeweils gebeten mitzumachen. Ob Kinderbibeltag, Jugendfreizeit, Konfirmandenfreizeit, Seniorenkreis oder Sommerfest – es waren immer Dieselben, die nicht Nein sagten und mithalfen. Auch ich.
Ich tat es gerne und mit gutem Gewissen. Denn eine Freundin aus der Leitungsgruppe hatte mir einen Satz als Lösung mit auf den Weg gegeben. Dreimal dürfen Sie raten, welchen:
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“
Und ich spürte, dass mir viel gegeben war. Aus Dankbarkeit und Freude an Glauben und Gemeinde wollte ich davon etwas zurückgeben.
Solange ich noch im Studium war, konnte ich mir die Zeit flexibel einteilen und mich zur Verfügung stellen, wo immer „Not am Mann“ war. Die Berufstätigen in unserer Gemeinde konnten das nicht, die Schüler auch nicht, also war ich öfters so im Einsatz. Als ich ins Referendariat wechselte und feste Anwesenheitszeiten hatte, wurde es deutlich schwieriger und meine Zeit für die Kirchengemeinde knapper. Ich musste mir genauer einteilen, wann und wo ich mithalf.
Als ich nach dem Referendariat in den Beruf einstieg und Richter beim Verwaltungsgericht wurde, musste ich mein Engagement auf Abende und Wochenenden konzentrieren. Und damit begannen meine Schwierigkeiten: Auch meine Zeit war nun eng begrenzt, aber es gab so viele Gelegenheiten und Gründe mitzuhelfen, dass es mir irgendwann doch zu viel wurde.
Ich hetzte von Termin zu Termin, hatte das Gefühl, es nicht richtig und niemandem mehr recht zu machen – und bei alledem hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn hieß es nicht:
„Wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern“?
Irgendwann war ich ausgebrannt, hatte keine Kraft und keine Geduld und keine Ideen mehr. Die ganze Gemeinde „konnte mir den Buckel runterrutschen“, so war mir zumute. Sollten sie doch woanders „suchen und fordern“!
II. Überforderung in der Gemeinde
Kennen Sie dieses Gefühl? – Erst mit Engagement und Leidenschaft überall in St. Matthäus dabei und dann plötzlich mutlos, kraftlos, ratlos?
Genau das sollte nicht passieren.
Aber was hat das mit unserem Wochenspruch zu tun?
Wenn wir den Wochenspruch so wörtlich nehmen, wie er da steht, dann klingt er wie eine Aufforderung zur Selbstaufgabe:
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“
„Wem viel gegeben ist“ – Wir wissen alle, welche Gaben wir haben, was wir gut können und was Andere an uns schätzen:
Einige unter uns können wunderbar musizieren und das Lob Gottes in unseren Gottesdienste zum Klingen bringen.
Andere sind innig im Gebet und Segnen, bei ihnen findet Trost, Rat und Zuspruch, wer sich alleine fühlt und Hilfe braucht.
Wieder Andere sind handwerklich und technisch begabt, halten unsere Gebäude in Stand, sorgen für Beleuchtung, Bildprojektion und Ton.
Und wieder Andere haben die Gabe der Leitung von Gruppen und Hauskreisen wieder Andere sprechen Gäste in unserer Gemeinde an und heißen sie herzlich willkommen, wieder Andere holen unsere Senioren zum Gottesndienst ab oder sorgen für den Kirchenkaffee – eine lieb gewordene Institution am Sonntag nach dem Gottesdienst.
Diese Aufzählung könnte ich beliebig verlängern und hätte doch noch nicht alle gewürdigt, die in so vielfältiger Weise in St. Matthäus dienen.
„Wem viel anvertraut ist“ – damit sind nicht nur besonders wichtige Gaben angesprochen. Anvertraut ist unsere Gemeinde allen, die in leitender Funktion mitwirken und das Große Ganze im Blick haben und mitgestalten. Von unserem Pfarrer über seine Frau im Sekretariat, den Kirchenvorstand und die weiteren Gremien bis hin zu den Leiterinnen und Leitern in Gruppen und Kreisen.
Und über sie alle heißt es, dass man bei ihnen viel suchen und von ihnen um so mehr fordern wird.
Da tun sie schon so viel für unsere Gemeinde und dann will man noch mehr? Wo soll das hinführen? Zur völligen Selbstaufgabe?
III. Herr und Diener
Stellen wir den Wochenspruch in den Textzusammenhang des Lukas-Evangeliums, so steht er in einem Kapitel, in dem Jesus von den kommenden Zeiten spricht:
Er ermutigt seine Jünger, auf das Kommen Christi zu warten. Er ermahnt sie, nicht passiv und untätig zu sein, sondern sich wie treue Diener gegenüber einem Hausherrn auf dessen Kommen aktiv vorzubereiten.
Jesus zeichnet das Bild eines großen Gutshofs, wie es ihn auch um Augsburg herum in der Antike gegeben hat:
Stellen wir uns einen großen römischen Dreiseithof vor, mit einer Mauer und einem doppelflügeligen Eingangstor an der Frontseite, mit dem Hauptgebäude an der Rückseite, Stallungen, Werkstätten und Vorratsspeichern an den beiden Seiten und einem Ziehbrunnen in der Mitte des Innenhofs. Solch ein Hof hatte den Eigentümer und Hausherrn an der Spitze der Familie, das Gesinde mit Mägden und Knechten, dazu Sklaven.
Auf solch einem Gutshof hatte jede und jeder seine Aufgaben, in Feld und Wald, in Stall und Weide, in Haus und Hof, bei Aussaat und Ernte. Ein Verwalter kümmerte sich um das Ganze, wenn der Hausherr unterwegs war. Er sollte die Güter seines Herrn schützen und mehren. Und wenn sein Herr zurückkehrte aus der Ferne, sollte er ihm Rechenschaft ablegen und mit den ihm anvertrauten Gütern verantwortungsvoll umgegangen sein. – Das Idealbild eines Dieners.
IV. Alles mit Augenmaß
Mit diesem Idealbild zeigt Jesus seinen Jüngern, was er von ihnen erwartet am Ende der Zeit: Sie sollen sich vorbereitet haben auf seine Rückkehr. Sie sollen den Menschen sein Wort verkündigt und vor allem vorgelebt haben. Kurz: Sie sollen sein Reich vorbereitet haben.
Wenn wir mit diesem Bild der Rückkehr eines Gutsherrn auf seinen Gutshof unseren Wochenspruch nochmals lesen, entfaltet er seinen eigentlichen Sinn:
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“
Wir alle haben unsere Gaben und dürfen und sollen sie in unsere Gemeinde einbringen.
Und wem besonders verantwortungsvolle Aufgaben übertragen sind, der soll sie untadelig erfüllen.
Damit ist also nicht ein grenzenloses Engagement bis zur Selbstaufgabe gemeint. Damit ist nicht gemeint, den Beruf aufzugeben, die Familie zu vernachlässigen, nur um in der Gemeinde überall mithelfen zu können.
Im Gegenteil: Wir sollen unsere Gaben entdecken, fördern und zur Verfügung stellen.
Aber wir sollen auch verantwortlich damit umgehen. Wir sollen uns nicht in planlosem Engagement selbst erschöpfen und überfordern. Sondern wir sollen wie gute Verwalter das große Ganze im Blick halten. Wir sollen uns dort einbringen, wo unsere Gaben am wertvollsten sind – jede und jeder dort, wo sie oder er am nötigsten ist, weil sie oder er diese eine Aufgabe am besten erfüllen kann!
Niemand und am wenigsten Jesus selbst hat etwas davon, wenn wir uns überfordern und ausbrennen wie eine Kerze ohne Wachs. Eine Kerze kann nur lange brennen, wenn sie gleichmäßig brennt. Nicht wenn sie abgefackelt wird!
Mit unserem Wochenspruch werden wir ermahnt, verantwortungsvoll mit unseren Gaben umzugehen und vernünftig mit unseren Kräften hauszuhalten: Alles mit Augenmaß!
V. Wie umgehen mit den Gaben?
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“
In diese Richtung weist das Konzept für die Entwicklung unserer Gemeinde, auf das Pfarrer Bachmann und der Kirchenvorstand hinarbeiten:
Erstens ist unsere Gemeinde offen. Gäste sind herzlich willkommen. Ohne jede Verpflichtung. Sie brauchen nicht spenden und sie brauchen sich nicht festlegen. Sie können in Ruhe kommen, uns kennenlernen und ihren Platz suchen. Jede und jeder ist erst einmal als Mensch wertgeschätzt.
Möchte jemand vom Gast zum Gemeindemitglied werden, stehen Taufe, Konversion und Umpfarrung offen. Wir freuen uns über jedes neue Gemeindemitglied.
Möchte sich jemand engagieren, stehen die Verantwortlichen für die verschiedenen Bereiche mit Rat und Tat zur Seite: Toni Merk berät z.B., wenn jemand einen Hauskreis sucht. Armin Wilmeroth freut sich, wenn jemand beim Beamerdienst mitmachen will usw.
Aber es besteht keine Pflicht zur Mitarbeit. Anders als vielleicht in Alltag und Berufswelt hängt unsere Wertschätzung für den einzelnen Menschen nicht von seiner „Leistung“ für die Gemeinde ab.
Und die Verantwortlichen für die Bereiche haben ein Augenmerk darauf, dass sich niemand überfordert, sondern seine Gaben dort einbringen kann, wo sie am besten wirken.
Die Gemeinde Gottes aufzubauen, ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf – wir müssen mit den Kräften haushalten, damit sie uns nicht vor dem Ziel ausgehen. Bevor wir uns überfordern, müssen wir auch einmal Nein sagen dürfen – ohne schlechtes Gewissen.
Bringen wir also unsere Gaben in unserer Gemeinde ein, ohne uns zu verausgaben!