Darf ich dir eine Frage stellen? Darf ich dir etwas Gutes tun?
Wir kennen alle die simplen Sätze, die mit „Darf ich dir…“ beginnen, die vielleicht eher als Höflichkeitsfloskel im Sprachgebrauch angewandt werden. Aber in den letzten Wochen und Monaten konnte man den Eindruck bekommen, dass die Frage nach „Darf ich…“ unsere Gesellschaft weitaus mehr geprägt hat.
Plötzlich stellte sich jeder Fragen wie: „Darf ich wieder in ein Restaurant gehen und wie sieht es mit dem Familienbesuch aus?“
Denn im Rahmen der Covid-19 Pandemie gibt es fast täglich neue Verordnungen, die unseren Alltag betreffen. Um informiert zu bleiben, ist die Frage nach „Darf ich…“ oder „Darf man…“ ein ständiger Begleiter im alltäglichen Labyrinth der Gebote und Verordnungen. Nicht selten erlebt man, dass das fragende „Dürfen“ sehr unterschiedlich aufgefasst wird und eine gewisse Kluft in der Gesellschaft erkennbar ist.
Die einen wollen sich nichts verbieten lassen und halten als Abwehr ironischerweise den nächsten Satz mit einer Dürfen-Wendung entgegen, die da lautet: „Das wird man doch wohl noch machen dürfen!“ Auf der anderen Seite all diejenigen, die im Alltag ständig von der Frage nach Richtig und Falsch getrieben werden und auf „Darf ich?“ nur eine kurze Antwort für sich und den Nächsten haben: „Nein, man darf nicht mehr!“ Beide Seiten wurden hier bewusst in ihrer extremen Haltung dargestellt und deuten auf eine gewisse Unmündig- und Einseitigkeit.
Wenn ich an die Formulierung „Darf ich…“ denke, kommt mir direkt ein Kind in den Sinn, das noch unsicher zu den Eltern aufschaut und um Erlaubnis bittet. So lernt es nach und nach, was gut, erlaubt und richtig ist. Spätestens als Jugendliche/r sollte einem klar sein, dass die ständige Bitte um Erlaubnis mit der Formulierung „Darf ich…“ nicht wirklich eigenverantwortliches Handeln fördert. Irgendwann lernt man respektvoll und achtsam auf Augenhöhe zu kommunizieren, weil man sich vorher über die wesentliche Frage Gedanken gemacht hat: „Ist es gut für mich und meinen Nächsten?“ So wird auch ein „Das wird man wohl noch dürfen!“ geprüft. Stehen bei beiden Haltungen die eigenen Interessen als Wichtigstes im Vordergrund?
Kürzlich traf ich für mich bislang unbekannte Jugendliche, die auf dem Kirchengelände Alkohol getrunken haben und die ganze Nachbarschaft aufgrund der Lautstärke störten. Als sie mich plötzlich gesehen haben, fragten sie sofort: „Dürfen wir hier nicht sein?“
Ich antwortete: „Was glaubt ihr? Was wäre jetzt eine gute Entscheidung?“
Ein Jugendlicher antwortete: „Es ist gut, wenn wir jetzt gehen. Sonst bekommen wir noch mehr Stress.“ Da blieb mir nur übrig, den Jungs alles Gute zu wünschen.
In der Bibel finden wir nicht für alles und jede Situation eine fertige Handlungsanweisung. Und auf die Frage nach „Darf ich?“ würde Paulus vermutlich antworten: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.“ (So steht es in 1.Kor.10,23-24)
Die Frage nach „Darf ich…“ ist also eine Frage der Verantwortung. Es ist eine Haltung gegenüber Gott, meinen Nächsten und mir selbst. Denn wenn ich aus der Beziehung mit Jesus Christus lebe, dann treibt mich nicht mehr die bloße Frage „Darf ich…?“ an, sondern der Heilige Geist, der mit Freiheit in mir lebt. Er zeigt mir, was gut ist und was aufbaut, damit Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung wachsen können (Gal 5,22-23).
Aus dieser Freiheit heraus kann ich mit Kraft, Liebe und Besonnenheit handeln. Wenn ich das Gute im Sinn habe, dann verändert sich meine Sichtweise, sodass die vielen Möglichkeiten mich antreiben und nicht irgendwelche Gebote und Verbote. Das gilt vor, während und nach der Corona-Pandemie. Diese Freiheit lädt mich ein, mit einer bestimmten Haltung in die Begegnung zu gehen. Statt „Darf ich dir etwas Gutes tun?“ kannst du sagen „Ich möchte dir etwas Gutes tun“. Und vielleicht hat Gott dir ja schon etwas Konkretes ins Herz gegeben, das nur noch darauf wartet, angewandt zu werden.
Aus dem „Darf man/Darf ich…?“ wird eine Frage der Beziehung und Liebe. Ohne versteckte Scham, Angst oder erhobenen Zeigefinger. Jeder Einzelne von uns kann auf Gottes lebendiges Wort vertrauen, durch seinen Heiligen Geist in Verantwortung wachsen und durch ihn in seinem „Darf ich…?“-Denken erneuert werden (vgl. Römer 12,1).
Kinder- und Jugendreferent Oliver Schäfer