Interview mit Sokol Hoxha – die Fragen stellte Lora Helwich und Albrecht Fietz:
Sokol, wo kommst du ursprünglich her und wie lang bist du bereits ein leitender Mitarbeiter in Jugend mit einer Mission?
Sokol: Ich komme ursprünglich aus Albanien und bin bis zu meinem 25. Lebensjahr in einer muslimisch geprägten Familie in einem kommunistischen Staat aufgewachsen und arbeitete als gelernter Ingieneur. JMEM hatte eine Schule in meiner Nähe und über Kontakte wurde ich dort dann als Dolmetscher und Wächter angestellt. Als Atheist durfte ich dann also das Evangelium übersetzen und die von Gott begeisterten Jugendlichen während ihrer Einsätzenerleben. 1993 ging es dann für mich nach Deutschland nach Düsseldorf, um Freunde zu besuchen, und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Ich war im Paradies gelandet. Doch schnell stellte sich heraus: Die Menschen, vor allem die Jugendlichen, waren hier trotzdem nicht glücklich. Auch der materielle Überfluss füllte die Leere in ihren Herzen nicht aus – als ich das erkannte, spürte ich das erste Mal etwas wie eine Berufung in mir. Genau zu dieser Zeit lud mich der JMEM-Leiter auf eine Mitarbeiter-Konferenz ein, auf der ich das erste Mal eine Begegnung mit dem Heiligen Geist hatte. Dort wurden meine Freundin und ich eingeladen, an der am darauffolgenden Tag beginnenden DTS teilzunehmen. Einige Monate später schloss ich völlig begeistert von Gott und seinem Wirken meinen Einsatz ab und blieb von da an bei JMEM. 1998 ging es dann in dieses wunderschöne Schloss, das erste deutsche JMEM-Zentrum, dessen Leitung mir im Folgejahr 1999 dann anvertraut wurde.
JMEM ist eine internationale Jugend-Missionsbewegung. Was ist daran so einzigartig?
Sokol: Das besondere an JMEM ist zum einen unsere Internationalität (grinst in die Runde, in der außer uns noch eine Amerikanerin, ein Inder und zwischenzeitlich ein Nigerianer sitzen). JMEM ist in 180 Ländern unserer Erde präsent und so mit den verschiedensten Kulturen und Sprachen in Berührung. Dazu kommt, dass wir interkonfessionell sind. Alle möglichen Denominationen sind bei uns vertreten und tragen zu einer ständigen Erweiterung, oft auch Herausforderung, unserer Glaubensperspektive bei. Uns alle vereint jedoch ein Grundprinzip: Gottes Stimme hören und das tun, was ER sagt. All unsere Schulen und Zentren sind auf dieser Basis aufgebaut worden, nicht auf strategischem oder wirtschaftlichem Denken. Und zu guter Letzt eben der klare Fokus auf Jugend, wie man unschwer am Namen erkennen kann.
Du verantwortest z. Zt. Im JMEM-Zentrum Schloss Hurlach südlich von Augsburg das Jüngerschafts-Trainings-Programm. Wie würdest du Jüngerschaft erklären?
Sokol: Jüngerschaft bedeutet Nachfolge. Wenn wir uns in die Zeit Jesu zurückversetzen, dann waren seine Jünger seine Nachfolger. Was heißt es Nachfolger zu sein? Du folgst deinem Herrn wohin er auch geht, um zu lernen. Das Lernen geschieht also im Gehen. Jüngerschaft ist nicht etwas, was wir hier in einem Klassenzimmer lernen. Wenn ich den neuen Schülern in der Einführungswoche ihre Zimmer zeige, in denen sie mit 8-10 Leuten wohnen werden, dann sage ich ihnen: „Hier findet Jüngerschaft statt.“ Live-Learn-Prinzip nennen wir das bei JMEM.
Hast du selbst Jüngerschaft ganz praktisch erlebt?
Sokol: Ja, auf jeden Fall. Angefangen in Albanien, wo ich „live“ dabei zusehen konnte, wie die Leute von JMEM miteinander leben, was sie machen und wie sie miteinander umgehen. Sie haben jeden Morgen einen Kreis gebildet und in Begleitung einer Gitarre gesungen. Was ich lang für das sehr regelmäßige Proben für einen Auftritt hielt (lacht), entpuppte sich als Lobpreis, als ein Konzert für Gott.
Dann habe ich selbst als Schüler einer DTS Jüngerschaft pur erlebt, in der Schule und im Ausland. Und ganz persönlich durfte ich Jüngerschaft mit dem Leiter, von dem ich oben schon erzählte, erleben. Er adoptierte mich regelrecht in seine Familie und investierte unglaublich viel in unsere Freundschaft. Auch als ich selbst Leiter wurde, ersuchte ich weiter Jüngerschaft. So erleben es auch unsere Schüler: Die Jüngerschaftsschule ist nicht das Ende vom Weg, sondern das Tor zu einem lebenslangen Prozess.
Wie unterscheiden sich die meisten Bibelschulen von einer DTS (Discipleship Training school)?
Sokol gibt die Frage auf Englisch an die zwei Students weiter, die mit in der Runde sitzen.
Abigail (aus Amerika): Ich finde, dass die DTS praktischer veranlagt ist. Der Fokus liegt auf der direkten Anwendung. Viele andere Bibelschulen fokussieren sich auf Wissen – was toll ist, keine Frage- aber bei JMEM wird beides sofort angewendet und das mitten auf dem Feld. Du lernst nicht nur, was es heißt, Jünger zu sein, sondern du lebst aktiv Jüngerschaft.
Katoho (aus Indien): Genau, es ist die Umsetzung des Gelernten in deinem Leben. Du wendest das Wissen an, anstatt es nur zu speichern. Und das in deinem Alltag, in deinem täglichen Leben.
Sokol: Und trotzdem haben wir als JMEM auch Bibelschulen, die den Fokus mehr auf das Studieren der Bibel lenken. Aber die DTS setzt den Schwerpunkt vor allem auf die Umsetzung, die aktive Anwendung. Wie lebe ich als ChristIn, als NachfolgerIn Jesu? Diese Frage wollen wir beantworten.
Über regionale Gebetsinitiativen pflegst du regelmäßig Kontakt zu vielen geistlichen Leitern und Pfarrern in unserer Region. Wie können sich aus deiner Sicht Gemeinde und Missionsarbeit ergänzen?
Sokol: Wir haben über die Jahre festgestellt, dass Gemeindeleben nochmal ganz anders ist als Missionsleben. Unser Zusammenleben in einer so intensiven, kurzzeitigen Gemeinschaft richtet den Blick immer auf ein Außen, sei es regional, national oder international. Wir nennen das „glocal“. Gemeinde hat aber einen anderen Fokus, nämlich die Menschen, die vor Ort sind, in ihrem Glauben zu stärken, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen. Wenn also Missions- und Gemeindearbeit verknüpft werden und sich ergänzen, dann kann das sehr fruchtbar für beide Seiten sein. Die Gemeinde profitiert von der Dynamik der Mission und erweitert ihren Horizont im Hinblick auf den internationalen Leib Christi. Die Missionsarbeit hingegen profitiert von der Stabilität, der Langfristigkeit und der Tiefe der Gemeinde.
Seit einem halben Jahr sind wir von St. Matthäus bereits mit dir im Gespräch darüber, wie wir zusammen mit euch im Schloss Hurlach das Projekt „ALL IN“, eine Glaubens- und Lebensschulung, gründen können. Diese soll einen starken Fokus auf das Leben junger Menschen in der Gemeinde haben. Was erhoffst du dir davon, wenn wir 2024 dieses Projekt gemeinsam starten werden?
Sokol: Mich begeistert an diesem Projekt vor allem der direkte Link zu einer Gemeinde. Das ist neu. Und so wie ich es vorhin schon erwähnt habe, davon können alle Beteiligten stark profitieren. Wir bei JMEM holen Jugendliche für 6 Monate aus ihren Gemeinden raus und hoffen, dass sie nach der DTS gestärkt und verändert dorthin zurückkehren und sich investieren. Das klappt aber leider nicht immer, manchmal passiert eine Entfremdung oder es entsteht Langeweile. Dann versuchen sie häufig mit aller Macht die Gemeinde zu verändern und auch der Gemeinde fällt es nicht immer leicht, sie wieder zu integrieren und auf die neuen Erfahrungen und Erlebnisse einzugehen. Und da schafft euer Projekt nun einen direkten Weg. Die Jugendlichen wenden das, was sie lernen eben auch direkt an und zwar innerhalb der Gemeinde. Neue Ideen und Initiativen können sofort in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Leitern und Mitgliedern umgesetzt werden. Die Beziehung zur Gemeinde wird also zu keiner Zeit abgebrochen.
Und ich sehe, dass Gott genau das im gesamten Leib Christi in Deutschland und auch weltweit anstößt. Gemeinden sind nicht länger isolierte Inseln, sondern vernetzen sich. Das lässt die Einheit unter uns Christen enorm wachsen, genauso wie das Verständnis für die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Körperteile des Leibes Christi.
Und mein dritter Gedanke dazu: In unserer ersten Gebetsrunde für dieses Projekt hatten wir alle den Eindruck von einer Win-Win-Win-Situation. Win für die Teilnehmer. Win für JMEM. Win für St. Matthäus. Das war wie ein Funke. Daraufhin entwickelte sich eine konkrete Vorstellung von diesem Projekt.
Wie genau sieht der Win für euch als JMEM Hurlach aus?
Sokol: Vor Corona hatten wir als Team den Eindruck, dass Gott unseren Blick viel mehr auf die Gesellschaft und die Gemeinden um uns herum lenken will. Manche nannten das auch JMEM 3.0. Wir wollen keine Missionsbewegung für uns, keine Insel sein, die nur eigene Projekte macht, sondern uns direkt vernetzen mit Gemeinde. Daraus lernen wir schon jetzt unglaublich viel darüber, wie Gemeindeleben funktioniert. Wir sind sehr gespannt auf den Start dieses Projekts und die nächsten gemeinsamen Schritte.
Vielen Dank für das Interview. Auch wir als St. Matthäus-Gemeinde sehen mit großer Zuversicht dieser Zusammenarbeit mit JMEM entgegen.