Wer möchte nicht emotional gesund, fit und überhaupt stabil in allen Herausforderungen des Lebens sein? Buchläden bieten immer mehr Ratgeber zu diesem brennenden Thema an. Unser Leben ist so schnelllebig, oft überflutet von Ereignissen und Gefühlen, dass immer mehr Menschen sich psychisch überfordert fühlen oder sogar psychosomatisch erkranken.
Was brauchen wir Menschen, um emotional gesund zu sein und zu bleiben? Eine komplexe Fragestellung: Wir alle kommen mit zwei intuitiven Bedürfnissen auf die Welt: Wer liebt mich bedingungslos und bei wem und wo bin ich geschützt und sicher?
Niemand auf diesem Planeten bekommt diesen Wunsch zu hundert Prozent erfüllt, da wir alle aus Generationen entstammen, die von Kriegen, Traumata, Erwartungen, Leistungsorientiertheit oder gesellschaftlichen Ansprüchen und Vorstellungen geprägt sind.
Die Sensoren eines Kindes im Mutterleib können bereits ab dem 4. Monat die Gefühle der Mutter wahrnehmen, in sich aufnehmen und Reaktionsmuster auf diese Wahrnehmung entwickeln.
Dabei gibt es Grundbedürfnisse von uns Menschen, deren Grad der Erfüllung unser emotionales Fundament entscheidend beeinflussen, abgesehen von unserer eigenen genetischen Beschaffenheit.
Diese Grundbedürfnisse können uns ein Spiegel sein für unseren kleinen „Seelen – TÜV, in dem wir selbst überprüfen, welches unserer Grundbedürfnisse zum Teil, ganz oder gar nicht erfüllt wurde:
ZUGEHÖRIGKEIT – Du darfst Dich herzlich willkommen und zugehörig fühlen
Körperliche NÄHE und OFFENHEIT – Du darfst anderen nah sein und ihnen Deine Gefühle zeigen
BINDUNG – Du darfst sichere, lang andauernde und verantwortliche Beziehungen zu einem für Dich emotional wichtigen Anderen aufnehmen. In der Beziehung dürft ihr Euch gegenseitig Geborgenheit und Sicherheit geben.
AUTONOMIE – Du darfst Du selbst sein und Deine Gefühle, Bedürfnisse und Ziele leben. Wenn Deine Bedürfnisse und Ziele im Widerspruch zu denen von anderen sind, darfst Du einen Kompromiss aushandeln, sodass sowohl Deine Bedürfnisse und Ziele als auch die der anderen beachtet werden.
SELBSTWERT – Du darfst Dich liebenswert fühlen und brauchst nicht perfekt zu sein, um geliebt zu werden.
IDENTITÄT – Psychosexuelle Identität: Du darfst Dich als Frau/Mann wohl fühlen und Dich so annehmen, wie Du bist – Psychosoziale Identität: Du darfst in Deinem Beruf Spaß und Erfolg haben.
LUST UND WOHLBEHAGEN – Du darfst Dich wohlfühlen in Deinem Leben und Spaß haben. Du darfst Freude erleben und körperliches Wohlbehagen genießen.
SINN UND SPIRITUALITÄT – Du darfst ein erfülltes und sinnvolles Leben führen. Du darfst loslassen und Dich der Liebe Gottes anvertrauen.
Wenn Du nun Dein „Gewordensein“ an diesem Spiegel misst, wirst Du sicherlich manchen Mangel feststellen und kannst Dir Hilfe suchen oder auch Dir selbstbewusst in gesunder Selbstliebe diese Grundbedürfnisse erfüllen. Am besten gelingt dies im Rahmen einer Gemeinschaft. Da gibt es unterschiedliche Angebote wie therapeutische Gruppen für emotionale Gesundheit, Sportgemeinschaften oder auch kirchliche Angebote, in denen uns auch vermittelt wird, dass Gott selbst Defizite in der Seele beantworten möchte, wenn wir dies zulassen wollen.
Jeder von uns erwirbt in seiner Kindheit Strategien, von denen wir glauben, dass sie am besten unser „Überleben“ sichern. Diese „Überlebensmuster“ erweisen sich dabei wirklich eine Zeitlang als hilfreich, aber letztlich verhindern sie, dass wir eine in uns gefestigte Persönlichkeit, ein gesundes Gegenüber werden können. Denn meistens sind diese Muster darauf angelegt gefallen zu wollen, Anerkennung zu erlangen und uns beschützt zu fühlen, je nachdem, was unser Umfeld positiv bewertet. Das kann der Einsatz von Charme, Kreativität, geistigen Leistungen, Sportlichkeit, Vermeidung von Stress und Konfrontation sein – wenn all das nicht greift, aber auch Hilflosigkeit, Rebellion, Verweigerung und Anklage. So oder so sind wir in dieser Haltung „Opfer“ der Reaktionen der Umwelt. Unsere Entscheidung, Reifeschritte zu wagen und uns in gesunder Selbst- und Nächstenliebe als wirkliches Gegenüber zu erweisen, hilft uns, aus der Opferhaltung auszusteigen.
Wissenschaftlich erwiesen ist, dass DANKBARKEIT der größte Spender von Glücksempfindungen ist. Der dankbare Mensch richtet seinen Fokus nicht nur auf alle Verlusterfahrungen, auch wenn er sie nicht ausblendet, sondern zieht Kraft und Freude aus allen guten Erfahrungen, Erlebnissen und Begegnungen. Dies ist ein wichtiger Gegenpol zu der Konzentration auf Mangel, Enttäuschungen und Verluste von Menschen oder auch Gesundheit.
Diese Haltung von Dankbarkeit beeinflusst auch unsere eigenen inneren Dialoge oder Selbstgespräche. Was wir zu uns selbst sagen, mit unserer inneren Autorität, beeinflusst unser Wohlbefinden. Da gibt es leider oft einen installierten inneren Kritiker, der all unser Tun, Handeln und Denken permanent bemängelt. Diesen Kritiker können wir einladen in unserem Inneren einen neuen Job anzunehmen, nämlich den Posten des Mutmachers. Denn wenn wir uns bei jedem kleinen Missgeschick ermutigen und nicht kritisieren, gehen wir einen großen Schritt in die Richtung emotionaler Gesundheit.
Letztlich sind dies im weitesten Sinne Versöhnungsprozesse mit unserem Gewordensein, unserer Geschichte, Versöhnung mit der Unvollkommenheit unserer Bezugspersonen und letztlich hin zu einer generalisierten versöhnten Haltung zu aller Unvollkommenheit des Lebens und unserer Geschichte. Wenn wir nicht mehr „Nachtragen“, Ballast abwerfen, können wir wieder Durchatmen und Entspannen. Das bringt uns persönliche Freiheit und dadurch können wir unserer Umgebung Freiheit ZU SEIN schenken. Was für ein Aufatmen.
Eigentlich sind dies alles göttliche und weisheitliche Prinzipien für unser emotionales Wohlbefinden, die wahr und gültig sind: Wir brauchen alle bedingungslose Annahme und Liebe, Ermutigung und Trost, wir dürfen lernen zu uns und den eigenen Überzeugungen zu stehen, auch wenn kein Applaus kommt. Selbst- und Nächstenliebe in gesundem Geben und Nehmen führen zu Gemeinschaftsfähigkeit in unseren sozialen Beziehungen. Der alte Kirchenvater Augustinus meinte: „Unser Herz ist unruhig in uns, bis es Ruhe findet, ein Zuhause, Herr, bei Dir.“ Emotional gesund.
Friedegard Warkentin